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Die verlogene Forderung nach der „Corona-Aufarbeitung“

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Von Elke BodderasVerantwortliche Redakteurin
Veröffentlicht am 29.01.2025Lesedauer: 3 Minuten
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WELT-Redakteurin Elke BodderasQuelle: Martin U.K. Lengemann

Gesundheitsminister Karl Lauterbach will eine „Corona-Aufarbeitung“ – die anderen Parteien erheben ähnliche Forderungen. Dass die entscheidenden Fragen dabei auf den Tisch kommen, ist allerdings unwahrscheinlich.

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Wie schnell der Wind sich dreht. Auf einmal schreibt das politische Berlin sich das Schlagwort „Corona-Aufarbeitung“ auf die Fahnen. Sogar das Schloss Bellevue ist betroffen, wo Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Wochenende überraschend erklärte, er sei der Meinung, dass die Pandemie aufgearbeitet gehöre. WELT hatte dem Bundespräsidialamt schon im September 2023 naheliegende Fragen zukommen lassen: „Brauchen wir ein Gremium zur Aufarbeitung? Wie könnte es aussehen?“ Der Bundespräsident sagte weder ja noch nein, er blieb wortlos eine Antwort schuldig.

Doch nun ist alles anders. Der herdengetriebene Wetter-Umschwung in der Coronafrage ist auch in der Union angekommen. Die stellvertretende CDU-Generalsekretärin Christina Stumpp ruft jetzt nach einer Aufarbeitung auf Bundesebene und – ganz besonders verblüffend – fordert nun auch Karl Lauterbach (SPD) eine „zügige“ Aufarbeitung. Der Bundesgesundheitsminister sagte sogar, es sei ein „Fehler“ gewesen, dass dies noch nicht geschehen sei. Auch Lauterbach klang früher anders. Während der letzten Sitzung des Corona-Expertenrats hatte er sich noch dafür starkgemacht, auf ein „Lessons Learned“ (Lektion gelernt) zu verzichten.

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Das klingt schlüssig, weil Lauterbach die Corona-Aufarbeitung offenbar ohnehin schon für sich schon abgeschlossen hat. Mit dem Ergebnis: „Deutschland hat klar mehr richtig gemacht“. So sagte er es zuletzt dem Deutschlandfunk. Für eine neue Pandemie sieht er alles „besser vorbereitet“. Ganz ähnlich formulierte es zuletzt auch Lauterbachs Vorgänger im Amt des Bundesgesundheitsministers, Jens Spahn (CDU). Aber nun ist es zu spät, die Ärmel sind schon hochgekrempelt, die SPD will mit einem Bürgerrat zupacken, FDP, AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht fordern einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, Linke und Grüne wollen lieber eine Enquete-Kommission. Und die CDU redet davon, „evidenzbasierte Lehren für die Zukunft“ zu ziehen.

Das klingt nach einer Form der Aufarbeitung, die man getrost Epidemiologen überlassen kann. Die Frage ist doch längst nicht nur: Was können wir beim nächsten Mal besser machen? Wer das Thema darauf beschränkt, verharmlost, was in der Pandemie politisch geschehen ist.

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Wichtiger ist die Frage nach den Opfern der Corona-Zeit, aber vor allem nach dem Vertrauensverlust in den Staat, den die politischen Akteure in Deutschland verursacht haben. Ausgelöst durch die Panik, vielleicht sogar Skrupellosigkeit von Politikern zweier Regierungen, die sich teils über elementare Grundrechte und liberale Demokratie-Standards hinweggesetzt haben. Auch in einer Pandemie sollte man sicher sein können, dass die politischen Entscheidungsträger nicht in autoritär-autokratische Sperenzchen verfallen.

Folgende Fragen müssen auf den Tisch: Wie konnte es geschehen, dass Politiker die Gelegenheit ergriffen, am Parlament vorbei durchzuregieren? Wie konnte es passieren, dass nur mit knapper Not verhindert wurde, eine Impfpflicht durchzusetzen? Wie konnte es passieren, dass Menschen einsam während der Besuchsverbote in den Krankenhäusern sterben mussten? Wie konnte es passieren, dass der Staat gezielt versuchte, eine Massenhysterie zu entfachen? Es sind Fragen, die jetzt alles Virologische oder Pandemische überlagern. Wer das nicht erkennt und sie nicht angehen will, der sollte das Wort Aufarbeitung nicht in den Mund nehmen.


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