Hat jemand eine Idee?

Warum sind in Deutschland 2021/22 circa 100.000 Menschen mehr gestorben, als statistisch zu erwarten war? Eine neue Studie drängt dem Interessierten viele Fragen auf.

Michael Andrick
Michael AndrickKarolina Kovac

Warum gab es 2020 keine statistisch relevante Übersterblichkeit in Deutschland, obwohl so dramatisch über die Corona-Pandemie berichtet wurde? Warum aber stiegen die Todesfälle hierzulande ab April 2021 über die statistisch zu erwartenden Werte an? Was geschah ab April 2021, das vorher nicht geschah? Hat jemand eine Idee?

Warum sind zum Beispiel 2021 von den 15- bis 29-Jährigen 3,1 Prozent mehr und von den 30- bis 39-Jährigen 3,4 Prozent mehr gestorben, als statistisch zu erwarten war? Und dann im Jahr 2022 von den 15- bis 29-Jährigen 10,5 Prozent mehr und von den 30- bis 39-Jährigen 9,7 Prozent mehr? Was ist diesen Menschen in den Jahren 2021 bis 2022 geschehen, das ihnen vorher nicht geschah? Hat jemand eine Idee?

Warum sind in Deutschland 2021 und 2022 insgesamt etwa 100.000 Menschen mehr gestorben, als statistisch zu erwarten war? Was haben die Deutschen 2021 und 2022 getan, das sie vorher nicht taten? Und was haben die Deutschen 2022 noch mehr getan, das sie in 2021 begonnen haben (denn 2021 starben 3,4 Prozent mehr Personen als erwartet und 2022 dann 6,6 Prozent mehr)? Hat jemand eine Idee?

Was könnte diese circa 100.000 in den Jahren 2021 und 2022 unerwartet Gestorbenen das Leben gekostet haben? Warum kann die Kurve der amtlich gemeldeten Covid-Todesfälle die Übersterblichkeit nicht erklären, obwohl doch die Corona-Pandemie vor sich ging? Warum ist ab September 2021 die Übersterblichkeit höher als die Zahl der amtlichen Covid-Todesfälle, und warum steigt sie 2022 kräftig an, während die amtlichen Covid-Todesfälle sinken? Hat jemand eine Idee?

Warum steigt die Übersterblichkeit 2022 noch stärker als im Vorjahr, obwohl doch ein Großteil der Bevölkerung Präventionsmaßnahmen gegen Covid-19 praktizierte? Hat jemand eine Idee?

Was ist mit den Schwangeren 2021 und 2022 geschehen, das ihnen vorher nicht geschah?

Warum ist auch die Zahl von Totgeburten je 1000 Geburten im zweiten Quartal 2021 um neun Prozent angestiegen und im vierten Quartal 2021 noch stärker um 19 Prozent? Und warum bleibt dieser Wert auch 2022 nach den bisher bekannten Zahlen erhöht? Was ist mit den Schwangeren 2021 und 2022 geschehen, das ihnen vorher nicht geschah? Hat jemand eine Idee?

Gab es eine andere körperliche Veränderung für die Menschen als die Begegnung mit Sars-CoV-2, die erklären könnte, was Covid-19 nicht erklärt? Hat jemand eine Idee?

Was, wenn die Ursachen, die zu den circa 100.000 unerwarteten Todesfällen 2021 und 2022 führten, weiter wirksam sind? Wo wir die Ursachen doch nicht kennen – wie können wir das ausschließen?

Wenn wir aber nicht ausschließen können, dass dieselben Ursachen weiter Todesfälle zeitigen – was ist jetzt wichtiger, als die Ursachen festzustellen und abzustellen? Warum hat der Bundestag die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses abgelehnt? Wollen Regierung und Abgeordnete den Hinterbliebenen der unerwartet Gestorbenen nicht Antworten auf ihre Fragen geben? Hat jemand eine Idee?

Wichtiger als die Fragen der Wirecard- und Cum-Ex-Untersuchungsausschüsse

Was ist der Inzidenzwert unerwartet gestorbener Menschen, der für SPD, FDP und Grüne überschritten sein muss, damit ein Untersuchungsausschuss einberufen, damit die Ursachen und Verantwortlichkeiten geklärt und dann gesellschaftlich sowie nötigenfalls juristisch aufgearbeitet werden? Hat jemand eine Idee? Irgendjemand?

All diese Fragen (und noch weitere) wirft eine Studie auf, die im Mai nach Peer-Review-Verfahren bei Springer Nature erschienen ist (Estimation of Excess Mortality in Germany During 2020–2022). Wer außer mir findet diese Fragen noch wichtiger als die Fragen der Wirecard- und Cum-Ex-Untersuchungsausschüsse?

Michael Andrick ist Kolumnist bei der Berliner Zeitung. Feedback an: briefe@berliner-zeitung.de