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Corona-Privilegien für Mittelständler - und wie Abgeordnete sie nutzten

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Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) drängte auf ein frühes Ende der Corona-Maßnahmen Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) drängte auf ein frühes Ende der Corona-Maßnahmen
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) drängte auf ein frühes Ende der Corona-Maßnahmen
Quelle: dpa
Der Justizminister drängte immer wieder auf ein frühes Ende der Corona-Maßnahmen – ließ aber mit Verweis auf die Pandemie noch bis April Veröffentlichungspflichten für Firmen aussetzen. Das hilft auch einer Reihe von Bundestagsabgeordneten, die mit ihren Unternehmen Fristen versäumten.

Wie kaum ein Zweiter in der Bundesregierung hat Justizminister Marco Buschmann (FDP) seit Ende 2022 auf ein frühes Ende der Corona-Maßnahmen gedrungen – etwa bei Masken- und Testpflichten. Ausgerechnet in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich dagegen hat er den Ausnahmezustand weit in das Jahr 2023 hinein verlängert.

Eigentlich müssen Firmen laut Handelsgesetzbuch innerhalb bestimmter Fristen ihre Geschäftszahlen im Bundesanzeiger oder Unternehmensregister veröffentlichen lassen. Doch das Buschmann unterstehende Bundesamt für Justiz (BfJ) hat auch in diesem Jahr über Monate hinweg Ordnungsgeldverfahren bei Firmen suspendiert, die die Fristen nicht eingehalten haben. Die Begründung lautete wie in den Jahren der Pandemie: Corona.

Das BfJ orientierte sich mit dieser behördlichen Großzügigkeit an Wünschen der Steuerberaterbranche und wohl auch an den Interessen mancher mittelständischer Firmen. Zugleich zeigen Recherchen von WELT AM SONNTAG, dass auch eine ganze Reihe von Bundestagsabgeordneten mit ihren Firmenbeteiligungen von den laxen Kontrollen profitieren. Auch ihre Jahresabschlüsse sind Anfang Mai mit über vier Monaten Verspätung teils immer noch nicht auf den Seiten von Bundesanzeiger und Unternehmensregister zu finden – obwohl man von Angehörigen der Legislative eine Vorbildfunktion beim Einhalten der Gesetze erwarten könnte.

Auf der eigenen Webseite verkündet das BfJ, dass man in Abstimmung mit dem Justizministerium und wegen der „anhaltenden Nachwirkungen der Ausnahmesituation der Covid-19-Pandemie“ auch in diesem Jahr ein Auge zudrücke – und vor dem 11. April keine Ordnungsgeldverfahren gegen Unternehmen einleite, die eigentlich bereits Ende 2022 ihre Jahresabschlüsse für 2021 hätten vorlegen müssen.

„Anhaltende Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie“

Diese Ein-Jahres-Frist betrifft vor allem kleinere Firmen und gilt eigentlich ohnehin als relativ großzügig. Börsennotierte Unternehmen müssen ihre Geschäftszahlen bereits nach vier Monaten einreichen. Die Offenlegungspflichten sollen Geschäftspartner schützen. Journalisten nutzen die Angaben für Firmenrecherchen. Die Veröffentlichungsvorschriften werden aber in Deutschland von einigen Unternehmensvertretern auch als störend empfunden – etwa wenn schlechte Geschäftszahlen nicht zu öffentlich verkündeten Erfolgsmeldungen passen.

Ausgerechnet bei einigen FDP-Fraktionskollegen von Marco Buschmann findet man für von ihnen kontrollierte Firmen noch Anfang Mai weiterhin keine Geschäftszahlen für 2021 im Bundesanzeiger oder Unternehmensregister. Das gilt etwa für den Außenpolitiker Frank Müller-Rosentritt aus Chemnitz und die von ihm mitgeführte Kamenica Immobilien GmbH. Für sie stehen im Unternehmensregister bisher lediglich Geschäftszahlen für das Jahr 2020 – darunter Verbindlichkeiten von fast 1,6 Millionen Euro. Wegen des „außerordentlich hohen Arbeitsaufkommens des Steuerbüros“ habe man von der allgemeinen Fristverlängerung „Gebrauch gemacht“, bestätigte Müller-Rosentritt.

Ähnlich verhält es sich bei der Firma TWF Metallbearbeitungs Holding UG im schwäbischen Horb, die mehrheitlich dem FDP-Abgeordneten und Parlamentarischen Staatssekretär Michael Theurer gehört. Auch ihre Zahlen für 2021 sucht man noch in der zweiten Maiwoche vergebens. Wie Theurer ausrichten lässt, liegt der Abschluss inzwischen „den zuständigen Stellen vor“. Eine mögliche kurzfristige Verzögerung liege allein daran, dass der Steuerberater „Opfer eines Hacker-Angriffs geworden ist“.

Michael Theurer ist FDP-Abgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium
Michael Theurer ist FDP-Abgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium
Quelle: Bernd Weißbrod/picture alliance/dpa

Auch für die gemeinnützige GmbH Prometheus – Das Freiheitsinstitut des FDP-Finanzexperten Frank Schäffler wurden bisher keine Geschäftszahlen für 2021 publik. Die Steuerberater seien „durch die Coronahilfen überlastet“, verteidigt sich Schäffler. Eine Erinnerung der zuständigen Behörden sei „bislang bei uns nicht eingegangen“.

„Offenlegungsfristen sind ohnehin zu lang“

Regine Buchheim ist Professorin für Betriebswirtschaft an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Expertin für Rechnungslegung. Aus Ihrer Sicht sind die Offenlegungsfristen in Deutschland „ohnehin viel zu lang“. Zudem gebe es „keine ausreichenden Sanktionen“, die für eine pünktliche Veröffentlichung sorgen. Das wäre aber gerade bei haftungsbeschränkten Firmen wie GmbHs, so Buchheim, „wichtig für das Vertrauen der Kaufleute untereinander, aber auch für Banken, Arbeitnehmer oder die Kommunen“.

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Dass es sehr wohl möglich ist, die Fristen einzuhalten, zeigen die Firmen einiger anderer FDP-Abgeordneter. Sie haben es bereits vor Monaten geschafft, Jahresabschlüsse einzureichen. Das gilt etwa für Unternehmen der Wirtschaftspolitiker Hagen Reinhold und Reinhard Houben.

Hinweise auf Verstöße findet man hingegen auch bei AfD-Abgeordneten. Bei der Cosmed Renner & Partner Marketing Kommunikation GmbH des Medienpolitikers Martin Renner stand im Jahr 2020 ein „nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ von 397.183 Euro in der Bilanz. Zahlen für 2021? Bisher Fehlanzeige. Renner entschuldigte sich damit, dass der Steuerberater die Sache „verschludert“ habe. Die Einreichung werde jetzt nachgeholt.

Auch CDU-Generalsekretär Mario Czaja betreibt nebenher eine private Firma
Auch CDU-Generalsekretär Mario Czaja betreibt nebenher eine private Firma
Quelle: Malte Ossowski/SVEN SIMON/picture alliance

Ungereimtheiten gibt es bei CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Er ist neben seinen Funktionen in der Partei und als Bundestagsabgeordneter zugleich Gesellschafter und Geschäftsführer der HBUG Health Beteiligungs GmbH. Auch für sie suchte man bisher vergebens einen Abschluss für das Jahr 2021. Czaja versichert, dass die Firma die Zahlen fristgerecht bereits am 17. Dezember 2022 zur Offenlegung an den Bundesanzeiger übermittelt habe. Er könne nicht sagen, „warum die Veröffentlichung dort nicht geschehen ist“. Doch dem widerspricht der Bundesanzeiger. Nach Angaben des Bundesanzeiger Verlags reichte Czajas Firma ihre Angaben erst am 8. Mai ein – drei Tage nachdem WELT AM SONNTAG bei dem Politiker angefragt hatte. Inzwischen sind die Zahlen online abrufbar.

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Abgeordnete von SPD oder Grünen betreiben seltener eigene Firmen und fallen deshalb weniger mit verspäteten Unternehmensabschlüssen auf. Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen besitzt immerhin ein Sechstel einer kleinen Gesellschaft, die einen Kindergarten in Berlin-Kreuzberg betreibt – und für die bisher ebenfalls bisher keine Geschäftszahlen für 2021 auf der Seite des Unternehmensregisters zu finden waren. Der Abschluss sei aber bereits hinterlegt, lässt er versichern.

Die SPD-Abgeordnete Franziska Mascheck berief sich für die von ihr mitgeführte gemeinnützige Firma Salofé ähnlich wie Czaja auf Versäumnisse des Bundesanzeigers. Der Jahresabschluss sei dort „fristgerecht“ im Februar hinterlegt worden, aber seither nicht veröffentlicht worden, „aufgrund des hohen Arbeitsaufkommens“. Der Bundesanzeiger stellt es anders dar: Die Angaben der Firma seien „verfristet“ eingetroffen. Danach habe es „zu klärende registerliche Fragestellungen“ gegeben, die aber nun beantwortet seien.

In einem Schließfach des ehemaligen SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs fanden sich 214.000 Euro
In einem Schließfach des ehemaligen SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs fanden sich 214.000 Euro
Quelle: Michael Kappeler/picture alliance/dpa

Und dann ist da der ehemalige SPD-Abgeordnete und Strippenzieher Johannes Kahrs. Er ist heute mit der Hamburger Beratungsfirma Duckdalben Consulting aktiv. Bereits im Jahr der Gründung 2020 wies sie ein Eigenkapital von knapp 200.000 Euro auf. Vergangenes Jahr wurde bekannt, dass Kahrs nur wenig mehr, nämlich den Betrag von rund 214 000 Euro, als Bargeld in einem Schließfach bei der Hamburger Sparkasse deponiert hatte.

Seine Firmenzahlen hinterlegte der Sozialdemokrat zuletzt im September 2021 beim Unternehmensregister. Wie haben sich die Geschäfte seitdem entwickelt? Unklar. Auf eine Anfrage reagierte er nicht.

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Offen bleibt auch die Frage, ob das Bundesamt für Justiz zumindest ab Mitte April in den Fällen Ordnungsgeldverfahren eröffnet hat, in denen etwa Firmen von Parlamentariern nicht rechtzeitig ihre Abschlüsse einreichten. Die Behörde wollte das auf Anfrage von WELT AM SONNTAG nicht im Detail beantworten. „Konkretere Angaben“ mache man nur „gegenüber den Verfahrensbeteiligten“.

Das kann verwundern, denn noch in den Jahren 2020 und 2021 bestätigte das Amt zumindest in einigen Fällen die Einleitung konkreter Verfahren. Das Bundesjustizministerium ließ Fragen dieser Redaktion zu den Vorgängen bisher ganz unbeantwortet.

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Mitarbeit: Sonja Sönnichsen

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