„Null Gewissenbisse. Mir geht es bestens“
Corona-Impfpflicht und schwere Gesundheitsschäden? Staatsrechtler und Leopoldina-Mitglied Stefan Huster, der eine Impfpflicht befürwortete, zeigt bei einer Diskussion keine Spur von Selbstkritik
Wie stehen Funktionsträger, die eine allgemeinen Corona-Impfpflicht befürworteten, heute dazu? Der Staatsrechtler Stefan Huster, während der Pandemie zum Vorsitzenden der Corona-Evaluationskommission berufen, hat sich nun auf X (vormals Twitter) zu Wort gemeldet. In einer Diskussion zwischen Huster und dem Autor des vorliegenden Artikels, ging es im Kern um die Frage, wie der Rechtswissenschaftler eine allgemeine Corona-Impfpflicht in Anbetracht des Wissens, dass die Impfung zu schweren Schäden führen kann, heute einordnet. Und, anders gefragt: Würde der Staat dann zum Mörder? Auf die Frage, ob das Mitglied der Leopoldina aufgrund der bekanntgewordenen schweren Impfschäden mittlerweile Gewissensbisse habe, folgte die Antwort: „Null Gewissensbisse. Mir geht es bestens.“
Das ist, soweit bekannt, das erste Mal, dass sich ein hochrangiger Funktionsträger in Deutschland auf diese Weise zur „Gewissensfrage“ im angeführten Zusammenhang geäußert hat.
Hintergrund: Huster hat in der Corona-Krise eine allgemeine Corona-Impfpflicht befürwortet. In einer Stellungnahme der Leopoldina, in der auch sein Name aufgeführt ist, hat das erlauchte Gremium im November 2021 die „massive Verstärkung der Impfkampagne und Einführung einer stufenweisen Impfpflicht“ als Maßnahmen empfohlen. Ebenso empfahl die Leopoldina die „rasche Einführung“ einer berufsbezogenen Impfpflicht. Im Dezember 2021 bezeichnete Huster eine Corona-Impfpflicht unter gewissen Umständen als „verfassungsrechtlich gerechtfertigt“.
(Foto: Mat Napo)
Die Tweets
Im Nachfolgenden findet sich die Diskussion mit Huster dokumentiert und eingeordnet.
Für die Öffentlichkeit ist es von elementarer Bedeutung, zu erfahren, wie Akteure, die hinter der Impfpflicht standen, ihre Position heutzutage einordnen. Lobenswert ist, dass Ansätze einer Diskussion überhaupt zustande gekommen sind. Ansonsten sieht es düster aus.
Deutlich wird, dass nach wie vor grundlegende, kaum miteinander in Einklang zu bringende Positionen aufeinander treffen.
Stein des Anstoßes war ein Tweet zu einer Äußerung von Dr. Gunter Frank, der mit seinem coronakritischen Buch „Das Staatsverbrechen - Warum die Corona-Krise erst dann endet, wenn die Verantwortlichen vor Gericht stehen die Maßnahmenpolitik ebenfalls scharf kritisiert.
In einem aktuellen Interview sagte Frank:
„Zum Beispiel sind die RSV-Impfstoffe für die Säuglinge wieder im Schnellverfahren zugelassen worden. Das heißt, ohne suffiziente Sicherheitsprüfung an Säuglingen. Das ist Wahnsinn! Ich finde, es ist auch ein Verbrechen.“
Auf dieses über X verbreitete Zitat, reagierte Huster mit folgendem Tweet:
TWEET SH: Die einzigen Verbrechen hier sind dieser Wichtigtuer u sein Traktat.
Das war der Auftakt zur Diskussion.*
TWEET MK: Hm. Das ist, sagen wir: gewiss eine überaus eigenwillige Meinung. Realität: Dr. Frank hat kein Traktat, sondern ein wichtiges Buch verfasst. Helfen Sie mir bitte mal: Haben Sie sich als Mitglied der Leopoldina nicht für die Corona-Impfpflicht eingesetzt? Und heute? Gewissensbisse?
TWEET SH: Haben Sie diesen völlig belegfreien Quatsch wirklich gelesen??? Und Impfpflicht halte ich ganz unabhängig von der @Leopoldina in viel Fällen für verfassungsrechtlich möglich.
TWEET MK: Fokussieren wir auf den Kern. Die Frage lautet: Haben Sie Gewissenbisse? Und: "In vielen Fällen für verfassungsrechtlich möglich" - > hier nicht relevant. Es geht um: Covid Impfpflicht + eine elementar wichtige Frage, die da lautet: 1/ 2
TWEET MK: Darf die dt. Regierung eine allgemeine Corona-Impfpflicht einführen, wenn bekannt ist, dass diese Impfung zu schweren Schäden bis hin zum Tod führen kann? Daran anschließend die Frage: Wird der Staat zum Mörder, wenn er unter diesen Umständen die allgemeine Impfung einführt? 2/2
TWEET SH: Null Gewissensbisse. Mir geht es bestens. Aber Sie vermutlich, weil sie möglicherweise Menschen von einer sinnvollen Impfung abgehalten und dadurch gesundheitliche Schäden verursacht haben?!
TWEET MK: "Null Gewissensbisse" - > entspricht der Erwartung.
"vermutlich", "möglicherwiese" -> sehr Dünn.
"sinnvoll" -> tönerne Füße
TWEET MK: Noch anschließende Frage: Sie wissen, dass Mitbürger schwere Schäden durch die "Impfung" davongetragen haben?
Korrekt?
Sie haben aber "null Gewissensbisse", weil sie davon ausgehen, dass der Nutzen der Impfung die Schäden überwiegt?
Korrekt?
TWEET SH: So ist es.
TWEET MK: Verstehe ich Ihre Position richtig: Wenn "nur" X Prozent der Geimpften aufgrund einer Impfpflicht sterben, aber dafür Y Prozent der Bürger unbeschadet bleiben, dann ist der Tod dieser Menschen in Kauf zu nehmen.
Korrekt?
TWEET SH: So simpel ist es natürlich nicht, aber selbstverständlich ist es bei vielen Maßnahmen nie auszuschließen, dass sie für einige Bürger auch Nachteile haben werden.
TWEET MK: Wir sind da am entscheidenden Punkt. Zunächst: Sie dürften eingestehen: Der Begriff "Nachteile" ist ein, um es zart zu formulieren, "Euphemismus", der dafür, dass etwa ein Vater, eine Mutter durch die "Maßnahmen" Impfpflicht stirbt, unangebracht ist.
Einverstanden?
TWEET SH: Ich sprach gar nicht spezifisch über die Impfpflicht, sondern darüber, dass staatliche Maßnahmen im Allgemeinen fast nie Pareto-Verbesserungen sind, es also fast immer Vor- u Nachteile gibt, die man dann abwägen muss. Ist beim Impfen auch so.
TWEET MK: Danke für Klarstellung. Wir waren beim Konkreten (Impfpflicht). Frage lautete: Wenn "nur" X Prozent der Geimpften aufgrund einer Impfpflicht sterben, aber dafür Y Prozent der Bürger unbeschadet bleiben, dann ist der Tod dieser Menschen in Kauf zu nehmen.
Vertreten Sie diese Auffassung?
TWEET SH: Ich war nicht beim Konkreten. Nein, vertrete ich so nicht. Aber sind Sie der Ansicht, dass jede staatliche Maßnahme unzulässig ist, die überhaupt irgendjemanden irgendeinem Risiko aussetzt?
TWEET MK: Ansicht vertrete ich nicht. Geht aber nicht um "irgendein" Risiko, geht konkret um Risiko schwerer gesundheitlicher Schäden. Ich verstehe Sie nicht. Sie sind für eine allgemeine Coronaimpfpflicht, aber wollen nicht, das Leben gegen Leben aufgewogen wird? Das beinhaltet aber die Coronaimpfpflicht.
Richtig?
TWEET SH: Ne, ganz falsch. Geht immer nur um Risikoabwägung.
TWEET MK: Risikoabwägung beinhaltet hier aber: Leben gegen Leben aufwiegen. Wenn Annahme lautet: Risiko für Gesellschaft wird durch Coronaimpfung reduziert, dann nimmt Staat, wenn er weiß, dass Menschen durch die Impfung schweren Schaden nehmen, diese Schäden billigend in Kauf. Leben gegen Leben.
* Abkürzungen und formale Fehler in den Tweets wurden hier im Sinne der Lesbarkeit angepasst.
Einordnung der Diskussion
Die Frage nach der Bedeutung von Impfschäden ist bei Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht elementar. Die zentrale, bisher so gut wie nicht offen diskutierte Fragen lauten: Wenn ein Staat weiß, dass die Corona-Impfung zu schweren Gesundheitsschäden oder gar dem Tod führen kann, ist eine Impfpflicht dann aus rechtlicher und ethischer Sicht angebracht und durchsetzbar?
Anders gefragt: Würde ein Staat, der trotz der zu erwartenden massiver Gesundheitsschäden eine Impfpflicht - im Sinne der Risikoabwägung - durchsetzt, im schlimmsten Fall zum Mörder? Juristische Einschätzungen sind hier und hier zu finden. Genau genommen ist diesen Fragen noch eine Frage voranzustellen: Wenn ein Staat weiß, dass eine Impfung zu schweren Schäden bis hin zum Tod führen kann, dürfte er dann überhaupt auch „nur“ Impfdruck ausüben?
Diese Fragen in ihrem expliziten Charakter hätten im Vordergrund einer breiten medialen Debatte stehen müssen. Das war nicht der Fall. Umso angebrachter ist es, diejenigen mit diesen Fragen zu konfrontieren, die sich für eine Impfpflicht eingesetzt haben.
Huster beantwortet einerseits offen Fragen, andererseits entsteht – vorsichtig formuliert – der Eindruck, dass sich um die Beantwortung mancher Fragen gedrückt wird. Auf der Social Media Plattform schreibt Huster weiter:
- dass „es nicht so simpel“ sei,
- dass plötzlich – obwohl zuvor konkret die Impfpflicht Gegenstand der Diskussion war - er „gar nicht spezifisch über die Impfpflicht“ gesprochen habe,
- „sondern darüber, dass „staatliche Maßnahmen im Allgemeinen fast nie Pareto-Verbesserungen“ seien, „es also fast immer Vor- u Nachteile gibt, die man dann abwägen muss.“ Beim Impfen sei das auch so.
Die Ausführungen bremsen in ihrer Banalität den Diskussionsverlauf hin zum Kern der Fragen. Dass es bei staatlichen Maßnahmen „immer Vor- und Nachteile gibt, die man dann abwägen muss“ dürfte jedem bekannt sein. Vom Grundsatz her liegt das in der Natur der Sache. Doch diese Fokussierungen auf einen juristisch-technokratischen Wesensgehalt negieren alleine schon durch die verwendete Sprache den Bürger und Menschen, dessen Leben einmalig und schützenswert ist und um den es geht.
Wenn ein 17-jähriges Mädchen, wie etwa „Elle“, aufgrund der Impfung einen schweren gesundheitlichen Schaden davongetragen hat, dann fällt es schwer, von „Nachteilen“ zu sprechen.
Einen „Nachteil“ mag eine Fußballmannschaft haben, deren Kapitän aufgrund eines Trainingsunfalls nicht spielen kann. Aber von „Nachteilen“ zu sprechen, wenn Menschen sich durch Impfdruck oder gar eine Impfpflicht haben „impfen“ lassen und dann schwerste gesundheitliche Schäden bis zum Tod davongetragen haben, mag in der kühlen juristischen Sprache normal sein. Zur Erfassung des menschlichen Schadens und Leides, zu dem Impfdruck und staatliche Maßnahmen wie die Impfpflicht führen können, ist er unangebracht. Und gerade diese Ebene des individuellen, persönlichen Leids, ist in den Fokus zu rücken. Eine Rechtsbetrachtung, die dieses mögliche Leid ausblendet, hat jeden rechtsethischen Kompass verloren. Huster spricht von „Nachteilen“ in der Sprache des Juristen. Doch bewegt er sich auf Twitter nicht in einem Juristenzirkel, sondern kommuniziert öffentlich gegenüber einer breiten, primär aus Nichtjuristen bestehenden Öffentlichkeit. Die hier wahrgenommene, fehlende Sensibilität im Ausdruck korrespondiert auf bemerkenswert synchrone Weise mit jener Kälte, die als Grundlage an vielen Stellen der Maßnahmenpolitik sichtbar wurde.
Einerseits haben die Protagonisten einer harten Maßnahmenpolitik sehr geschickt ihre Marschrichtung als „Dienst an der Gemeinschaft“ verkauft. Hehre Ziele wie eine Überlastung des Gesundheitssystems oder den Schutz von „vulnerablen Gruppen“ stellten sie in den Vordergrund. Doch das drohende Leid, das durch Impfung und Impfdruck voraussichtlich entstehen würde, haben sie abgetan. Selbst Karl Lauterbach sprach von einer „nebenwirkungsfreien Impfung“.
„Nur“ Risikoabwägung? Nein. Leben gegen Leben
Heute ist die Gesellschaft mit der Realität von schweren Impfschäden konfrontiert. Die Diskussion um Nutzen und Schaden muss endlich offen geführt werden. Leider hat Huster sich dem weiterführenden Diskurs an dieser Stelle verweigert. Huster sagt zwar explizit, er vertrete nicht die Auffassung, dass wenn "nur" X Prozent der Geimpften aufgrund einer Impfpflicht sterben, aber dafür Y Prozent der Bürger unbeschadet blieben, der Tod dieser Menschen in Kauf zu nehmen sei.
Es gehe „immer nur um Risikoabwägung“.
Gut.
Aber: Fokussiert sei nochmal auf Husters vorangegangene Antwort.
Die an ihn gestellte Frage lautete:
Tweet MK: Sie haben aber "null Gewissensbisse", weil sie davon ausgehen, dass der Nutzen der Impfung die Schäden überwiegt?
Korrekt?
TWEET SH: So ist es.
„So ist es.“
Hier steht es schwarz auf weiß.
Wenn der Nutzen der Impfung die Schäden überwiegt… .
Und nochmal: Die Antwort lautet „so ist es.“
Beim Nachfassen rudert Huster dann zurück.
Nun zur von dem Staatsrechtler angeführten „Risikoabwägung“.
Bedeutet denn die „Risikoabwägung“ in Konsequenz und Praxis nicht genau ein Aufwiegen von Leben? Und genau das ist der springende Punkt. Der Begriff „Risiko“ oder auch „Risikoabwägung“ ist zunächst inhaltsleer. Er muss mit „Konkretem“ gefüllt werden. Bei einer rechtlichen Betrachtung muss er mit einem „Rechtsgut“ gefüllt werden. Und „das Leben“ ist genau solch ein Rechtsgut, um das es hier geht. Huster verbleibt mit der Formulierung „Risikoabwägung“ im Vagen. Es fehlt an einem konkreten Bezugspunkt. Und der kann, wird und muss am Ende des hier eruierten Themas „das Leben“ sein.
Egal wie viele Umwege diese Diskussion noch genommen hätte, egal wie viele echte, oder vermeintliche „Missverständnisse“ zum Vorschein gekommen wären, egal wie viel rhetorische und juristische Finesse oder Raffinesse aufgebracht worden wäre, am Ende der Diskussion hätte die Erkenntnis stehen müssen, die längst offensichtlich ist: Es geht eben doch um Leben gegen Leben. Das lenkt den Blick auf juristische, ethische und moralische Abgründe.
Und zwar nicht abstrakt, sondern sehr konkret.
Nachtrag: Mit Huster und einem Angriff auf Dr. Gunter Frank hatte sich im April Henryk M. Broder in einem Artikel auseinandergesetzt.