Experten: Einrichtungsbezogene Impfpflicht abschaffen!

Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz lässt sich die Regelung für Pflegekräfte und andere Berufe nicht halten, sagen unter anderem Verfassungsrechtler.

Kippt die einrichtungsbezogene Impfpflicht? Zwei Pflegekräfte schieben Patienten im Rollstuhl über einen Flur.
Kippt die einrichtungsbezogene Impfpflicht? Zwei Pflegekräfte schieben Patienten im Rollstuhl über einen Flur.dpa/Bockwoldt

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Deutschland ist nicht mehr zu halten. Darauf hat Robert Seegmüller hingewiesen. Der Richter am Bundesverwaltungsgericht und Vizepräsident des Berliner Verfassungsgerichtshofes begründete seine Forderung am Montag im Gesundheitsausschuss des Bundestages: „Die einrichtungsbezogene Impfpflicht muss immer bezogen werden auf die übrige Infektionsschutzrechtslage.“

Das Bundeskabinett hat in der vergangenen Woche ein überarbeitetes Infektionsschutzgesetz beschlossen, das nun vom Bundestag und Bundesrat noch verabschiedet werden muss. Es soll am 1. Oktober in Kraft treten und sieht vor, dass Patienten, Besucher sowie Beschäftigte einen tagesaktuellen negativen Corona-Test vorweisen und eine FFP2-Maske tragen müssen, um Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen betreten zu dürfen. „Fachliche Gründe dafür, vom Personal dieser Einrichtungen einen Impfnachweis zu verlangen, kann ich momentan nicht erkennen“, sagte Seegmüller. „Eine Maßnahme, die keinen zusätzlichen Infektionsschutz bringt, ist gesetzlich ungeeignet und damit unverhältnismäßig.“

In Berlin zum Beispiel arbeiten knapp 8900 nicht Geimpfte in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen, in denen die Impfpflicht gilt. Das hat das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) so erfasst. Betretungs- und Tätigkeitsverbote sprachen die Gesundheitsämter der Bezirke abgesehen von einer Ausnahme in Lichtenberg bisher nicht aus.

Verfassungsrechter Seegmüller sieht daher „ein erhebliches Vollstreckungsdefizit“. Eine Regelung, die sich nicht umsetzen lasse, „muss auf die Frage ihrer weiteren verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsfähigkeit zurückwirken“. Diese Argumentation stützt alle jene, die derzeit eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht erwägen.

Einrichtungsbezogene Impfpflicht: Klage vor dem Verfassungsgericht

So bereitet eine Gruppe von 40 Mandanten einer Berliner Kanzlei eine solche Beschwerde vor. Sie alle arbeiten in Branchen, in denen Beschäftigte eine Corona-Schutzimpfung nachweisen müssen. Sie sind Pflegekräfte, Ärzte, Therapeuten, Feuerwehrleute, Rettungssanitäter, aber auch Hausmeister oder Verwaltungsangestellte in Einrichtungen des Gesundheitswesens. Rund 1200 Unterstützer haben sich zudem per Unterschriftenliste zu der Verfassungsbeschwerde bekannt.

Die Beschwerde zielt vor allem auf Artikel 1 des Grundgesetzes ab, der es kategorisch verbietet, Leben gegen Leben abzuwägen. In diesem Fall, so die Argumentation, mögliche Impfschäden bei Pflegekräften gegen Ansteckung von Patienten und deren Gefährdung.

Steegmüller argumentiert anders: „Es ist nicht ersichtlich, welcher messbare zusätzliche Gewinn durch ein Festhalten an dieser Pflicht noch erzielt werden kann.“ Der Jurist schlägt vor: „Der Gesetzgeber sollte darüber nachdenken, die einrichtungsbezogene Impfpflicht abzuschaffen.“

Norbert Grote beurteilte als Sachverständiger vor dem Gesundheitsausschuss die Lage ähnlich. Der Geschäftsführer beim Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) sagte am Montag: „Wir sind davon ausgegangen, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht der erste Schritt zu einer allgemeinen Impfpflicht ist.“ Die lehnte der Bundestag im April ab. „Vor diesem Hintergrund ist es für uns schwer nachvollziehbar, dass an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht festgehalten wird“, sagte Grote.

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht läuft am 31. Dezember aus. „Wir erfahren und wir werden das zum 1. Oktober erleben, dass nicht geimpfte Pflegekräfte den Beruf verlassen“, berichtete Grote. „Wir weisen an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich darauf hin, dass wir uns das nicht leisten können, dass uns diese Kräfte fehlen.“

Die aktuell in Deutschland dominierende Virusvariante BA.5 müsse zu einem Kurswechsel führen, so Grote. „In der aktuellen Omikron-Situation können sich Geimpfte infizieren und Infektionen übertragen.“ Auch sein Fazit lautet: „Vor diesem Hintergrund bitten wir darum, die einrichtungsbezogene Impfpflicht zu überdenken.“