Die Bundesregierung will die Empfehlungen des Corona-Sachverständigenausschusses weitestgehend umsetzen. Das geht aus einer 22-seitigen Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht des Sachverständigenausschusses hervor, die WELT vorliegt. Hauptkritikpunkt des Ausschusses war die katastrophale Corona-Datenlage in Deutschland, die dazu geführt hätte, dass man Schaden und Nutzen einzelner Maßnahmen nur eingeschränkt bewerten hätte können. „Optimierungsbedarfe im Hinblick auf die Datenerhebung und ihre Erfassung werden seitens der Bundesregierung anerkannt“, heißt es nun in der Antwort der Regierung. Es müsse regulatorisch nachgebessert werden, sodass Daten digitalisiert und in ein einheitliches Format gebracht werden.
Gleichzeitig hält die Regierung das eigene Wirken bezüglich der Datenlage nicht für ausreichend gewürdigt. Sie listet eine Reihe von Initiativen auf wie der Aufbau eines Panels beim Robert-Koch-Institut (RKI) und die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorangetriebene Einrichtung eines sogenannten „Pandemie-Radars“ auf.
Die Regierung kritisiert, dass die Experten die Möglichkeiten der Datennutzung von im Aufbau befindlichen Einrichtungen wie dem Netzwerk Universitätsmedizin, das mit diversen Kohorten „gute Grundlagen für die Forschung“ geschaffen habe, nicht hinreichend berücksichtigt hätten. Außerdem: „Perspektivisch werden auch die Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen dazu beitragen können, die Datenbasis für die Pharmakovigilanz zu verbreitern.“ Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind gesetzlich verpflichtet, sämtliche Impfdaten und Nebenwirkungen an das RKI und das Paul-Ehrlich-Institut zu melden – dies ist bislang jedoch noch nicht umfangreich erfolgt.
Der Sachverständigenausschuss hatte auch die Risikokommunikation der Regierung beanstandet und neue Grundsätze formuliert. Die Regierung schreibt nun, diese würden geteilt und „bildeten bereits seit Beginn der Pandemie die Grundlage für die Informations- und Aufklärungsarbeit“ zum Virus und der Impfung. Auch habe man bei den Pressebriefings stets transparent auf die Unsicherheit des aktuellen Wissensstands hingewiesen. Bei den aktuellen Informationskampagnen würden die Empfehlungen der Experten berücksichtigt.
Höchste Priorität für Präsenzunterricht
Die Regierung schließt sich der Einschätzung der Experten an, dass die Auswirkungen der Lockdowns in Hinblick auf die gesundheitlichen und psychosozialen Belastungen differenziert zu bewerten seien: „Während ein früher kurzer Lockdown – soweit erforderlich – ein wirksames Instrument darstellen kann, begegnet ein längerer Lockdown – gerade auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten – zunehmenden Bedenken und dürfte in der aktuellen Phase der Pandemie nicht mehr angeordnet werden.“ Für den kommenden Herbst und Winter seien daher vielmehr „auf die Omikron-Varianten angepasste Impf- und Teststrategien“ maßgeblich.
Die Bundesregierung schreibt, sie nehme die mit Schulschließungen verbundenen Belastungen sehr ernst, die Aufrechterhaltung des regulären Schulbetriebs und eines kontinuierlichen Betreuungs- und Bildungsangebotes in Präsenz habe daher höchste Priorität. Sie weist darauf hin, dass Lockdowns, Schulschließungen und allgemeine 2G/3G-Regeln aktuell nur noch angeordnet werden könnten, wenn der Bundestag zuvor wieder die epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellt. Die Voraussetzungen dafür „liegen aus heutiger Sicht absehbar nicht vor“. Die Feststellung der Experten, dass dies eine juristisch fragwürdige Konstruktion sei, „nimmt sie zur Kenntnis“.
Der Sachverständigenausschuss war zu dem Schluss gekommen, eine „generelle Empfehlung zum Tragen von FFP2-Masken“ sei aus den bisherigen Daten nicht ableitbar. Eine Maskenpflicht sollte zudem auf Innenräume und Orte mit einem höheren Infektionsrisiko beschränkt bleiben. Außerdem müsse die Wichtigkeit des richtigen und konsequenten Tragens von Masken besser und wiederholt erläutert werden. Auf diese Kritikpunkte geht die Regierung nicht ein – obwohl jüngst erst eine FFP2-Pflicht in Fernzügen verankert worden war.
Die Regierung gibt zu, dass die Pandemie das Leben der Bevölkerung deutlich verändert habe und sowohl die Pandemie als auch die Maßnahmen bei vielen Menschen zu psychosozialen Belastungen geführt hätten. Aber: „Inwieweit damit auch eine Zunahme behandlungsbedürftiger psychischer Störungen einhergeht, lässt sich nicht abschließend beurteilen.“ Eine „Vielzahl an niedrigschwelligen Unterstützungs- und Hilfsangeboten“ trage dazu bei, die Menschen in die Lage zu versetzen, Unsicherheiten und Ängste zu bewältigen.
Die Stellungnahme beinhaltet auch einen Dank an die „unabhängigen Experten“ für ihr Engagement und die „hervorragende Zusammenarbeit.“ Der Corona-Sachverständigenausschuss war im Frühjahr 2021 eingerichtet und zur Hälfte vom Bundestag und zur Hälfte von der Bundesregierung interdisziplinär mit Experten besetzt worden. Am 1. Juli dieses Jahres hatte er seinen Bericht vorgestellt – nachdem monatelang darüber gestritten worden war, ob eine Evaluation angesichts der Datenlage überhaupt möglich ist und Charité-Virologe Christian Drosten die Kommission im Zuge dieser Diskussionen verlassen hatte.
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