Stiko-Chef zieht Fazit

„Für die Kontinuität nicht optimal“: Was Thomas Mertens vom Umbau der Stiko hält

Jahrelang hatte Thomas Mertens den Vorsitz der Ständigen Impfkommission.

Jahrelang hatte Thomas Mertens den Vorsitz der Ständigen Impfkommission.

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Thomas Mertens wird im Februar 2024 sein Amt als Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko) aufgeben – nach fast 20 Jahren Arbeit im Gremium für Impfempfehlungen hierzulande. Denn die Stiko soll laut Plänen des Bundesgesundheitsministeriums umgebaut werden. Mitglieder sollen zukünftig drei Amtsperioden lang tätig sein dürfen. Bislang durfte man das unbegrenzt. Auch sollen weniger kinderärztliche Experten und Expertinnen im Gremium sein, dafür mehr aus den Bereichen Kommunikation und öffentlicher Gesundheitsdienst. Im RND-Interview sagt er, was er von den Umbauplänen hält.

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Herr Mertens, wie beurteilen Sie als Stiko-Vorsitzender die Pläne zum Umbau des Gremiums?

Die Begrenzung der Mitgliedschaft auf drei Amtsperioden ist möglich und sinnvoll. Das Problem, welches sich daraus ergeben könnte, ist, dass wenn die jetzt anstehende Berufung dementsprechend erfolgt, zwölf der derzeitigen Mitglieder ausscheiden werden. Das ist für die Kontinuität der Stiko-Arbeit nicht optimal. Die Zusammensetzung der Stiko wurde auch früher verändert durch Neuberufung von Experten mit anderen Fachkompetenzen, das ist also normal.

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Ein ausgewogenes Verhältnis von wissenschaftlicher und eher „praktischer“ Kompetenz ist weiterhin wichtig und sollte erreicht werden. Konkret sind Pädiater (Kinderärzte, Anm. d. Redaktion) sicher wichtig und Kommunikationsexperten sind, wie gesagt, äußerst wichtig, aber ich würde diese weniger als Mitglieder der Stiko, sondern als starke, die Stiko ständig eng begleitende Kompetenz sehen.

Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko), spricht während einer Pressekonferenz.

Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko), spricht während einer Pressekonferenz.

Auch Sie werden zum Februar 2024 nach vielen Jahren den Vorsitz des Gremiums abgeben. Mit welchem Gefühl gehen Sie?

Ich habe sehr gerne mehrere Jahrzehnte als Virologe an Universitäten gearbeitet und habe die Virologie sowohl als Forschungsfeld als auch als Teil der Infektionsmedizin gesehen. Daher bin ich 2004 der Berufung in die Stiko gerne gefolgt. Das Thema Impfungen und Impfempfehlungen hat mich schon als junger Virologe fasziniert. Ich habe in den vergangenen Jahren einige Ämter gehabt und diese auch wieder aufgegeben. Ich war nie traurig darüber – und bin dies auch diesmal nicht. Es gehört einfach dazu, und es ist gut so – ich habe mich nie für wichtig und unersetzlich gehalten.

Ich saß zuhause an meinem Schreibtisch mit meinem Computer und meine Frau sagte während der Ausgangssperre gelegentlich: „Du bist im Haus und doch nicht da“.

Sie hatten den Vorsitz auch in einer sehr besonderen Zeit – während der Corona-Pandemie. Was nehmen Sie aus der Erfahrung mit?

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Ja, es war wirklich eine besondere und spannende Zeit während dieser Pandemie. Es hat für mich dazu geführt, dass ich nach meiner Pensionierung als Institutsdirektor gleich mit Volldampf weitergearbeitet habe. Die Zeit als Pensionär ist damit bislang für meine Frau und mich völlig anders verlaufen, als wir erwartet hatten. Ich saß zu Hause an meinem Schreibtisch mit meinem Computer und meine Frau sagte während der Ausgangssperre gelegentlich: „Du bist im Haus und doch nicht da.“ Sie hat auch unter gelegentlichen Anfeindungen mehr gelitten als ich selbst.

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Was haben Sie persönlich gelernt?

Spannend war natürlich, dass ich etliche Personen persönlich kennengelernt habe, die man sonst nur in den Medien sieht. Ich habe gelernt, dass Kommunikation enorm wichtig und ebenso schwierig ist. Menschen gut und richtig zu informieren, deren spezifische Vorkenntnisse und deren bestehende Überzeugungen und Einstellungen sehr unterschiedlich sind, ist sehr, sehr schwierig. Ich habe mein Berufsleben an der Universität verbracht, mit Kollegen als Diskussionspartnern und Studenten als Lernenden – das ist vergleichsweise einfach.

Ich sehe auch jetzt nicht, dass die Stiko ihrem gesetzlichen Auftrag nach anders hätte vorgehen und entscheiden können.

Was hat die Stiko aus dieser Zeit gelernt? Was waren rückblickend die größten Herausforderungen?

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Auch die Stiko war auf das teilweise entstandene Kommunikationschaos nicht vorbereitet. Die größten Herausforderungen waren meiner Ansicht nach fehlende wissenschaftliche Daten allgemein und medizinische Daten in Deutschland. Unsere Gesellschaft hat manchmal nicht verstanden und Politiker und Medien auch nicht, dass es im Interesse der Menschen ist, wenn man allgemeine Impfempfehlungen mit allen möglichen Konsequenzen nur auf der Basis aller jeweils verfügbaren wissenschaftlich-medizinischen Daten gibt.

Können Sie die Kritik an der Stiko in Krisenzeiten nachvollziehen?

Es ist schlecht, wenn ohne sehr gute Begründung und Sachkenntnis gegensätzliche Meinungen öffentlich geäußert werden – das verunsichert immer die Menschen, die ja keine Experten sein können. Ich sehe auch jetzt nicht, dass die Stiko ihrem gesetzlichen Auftrag nach anders hätte vorgehen und entscheiden können. Das weitaus meiste der aufgeregt geäußerten Kritik an der Stiko ist nachweisbar falsch.

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