Der Nationalspieler wollte sich während der Pandemie nicht gegen Corona impfen lassen. Eine Dokumentation zeigt nun, wie massiv er dafür unter Druck gesetzt wurde. Die Corona-Politik muss endlich aufgearbeitet werden.
Wer vergessen hat, wie achtlos und verletzend der Umgang mit Einzelnen während der Corona-Pandemie war, der kann es sich nun in beeindruckender Weise in Erinnerung rufen. Man muss dazu nur die Dokumentation über den deutschen Nationalspieler Joshua Kimmich schauen, die an diesem Samstag im ZDF läuft und schon jetzt online abrufbar ist. Sie zeigt einen Menschen, der am öffentlichen Druck beinahe zerbrochen wäre.
Der Fall datiert mitten in die Corona-Zeit im Herbst 2021. Wochenlang gab es plötzlich kaum ein anderes Thema mehr als Joshua Kimmich, den Mittelfeldstrategen des FC Bayern München. Was hatte der Mann getan? Hatte er das Vakzin gegen das Coronavirus als Gift bezeichnet und über eine Weltverschwörung von Bill Gates phantasiert? Hatte in einer Schmuddelecke des Internets zu Massenprotesten und zum Sturz der deutschen Regierung aufgerufen? Nichts dergleichen.
Joshua Kimmich hatte in diesem Herbst 2021 überhaupt nichts gesagt, zumindest nichts, was für die Öffentlichkeit bestimmt war. Er hatte sich nur gegen eine Corona-Impfung entschieden, ganz privat.
Diese Entscheidung zerrten Medien allerdings an die Öffentlichkeit. Und fortan war die Diskussion nicht mehr zu bremsen. Der Spieler wurde in einer Weise öffentlich an den Pranger gestellt, die autoritäre Züge annahm. Sportreporter verhörten ihn noch auf dem Spielfeld. Die «Tagesschau» brachte eine eigene Meldung, die die Sprecherin mit einer Gravitas verlas, als gehe es um Staatskonsultationen auf höchster Ebene.
Das Magazin Extra 3 bestritt, dass Kimmichs Entscheidung überhaupt eine private Angelegenheit sei. Wenn es ums Geldverdienen gehe, sei er doch auch nicht gerade zimperlich mit seiner Gesundheit, sagte der Moderator, und zählte genüsslich Kimmichs Sportverletzungen der vergangenen Jahre auf. Höhepunkt der Sendung war ein Foto, das den Spieler am Bett krebskranker Kinder zeigte. Kimmich, das war die Botschaft, inszeniere sich als Wohltäter und Lebensretter. Doch in Wahrheit gefährde er das Leben anderer.
Wenn Kimmich heute vor der Kamera darüber spricht, kämpft er mit den Tränen. Die Szene zeigt, wie tief die Verletzungen bei ihm noch immer sitzen. Sie zeigt exemplarisch, dass der Vertrauensverlust vieler Bürger in Staat und Gesellschaft nach wie vor nicht vollständig überwunden ist. Und damit auch, woran es bis heute mangelt: an einer gründlichen Aufarbeitung der Pandemiepolitik.
Der Fall Kimmich markiert einen Nervenzusammenbruch der deutschen Öffentlichkeit. Alles, was in der Corona-Politik schiefging, bündelte sich hier. Da war zunächst eine Öffentlichkeit, die sich in Sachen Impfung in einen kollektivistischen Rausch steigerte, statt die Autonomie des Einzelnen zu achten, gerade wenn es um Fragen der persönlichen Gesundheit ging.
Da man annahm, dass das Vakzin nicht nur vor schweren Krankheitsverläufen schützte, sondern auch vor einer Ansteckung, galt jeder Ungeimpfte mindestens als unsolidarisch. Bürger und Journalisten betrachteten die Impfung daher nicht als reine Privatentscheidung. Mit der Impfquote war die Sehnsucht nach einem Ende der Massnahmen verknüpft. Dabei gab es schon damals ernste Zweifel an dieser These.
Das Robert-Koch-Institut hatte schon im November 2020 intern festgehalten, dass eine sterile Immunität nicht belegt sei. «An die (noch) nicht erfolgte Impfung darf keine Benachteiligung geknüpft sein», schrieb das Institut damals. Und im Sommer 2021, kurz bevor Kimmich in die Öffentlichkeit gezerrt wurde, berichteten Medien vermehrt über Personen, die sich trotz Impfung ansteckten. All das sprach selbstverständlich nicht gegen eine Impfung, im Gegenteil. Wohl aber sprach es schon damals gegen die gesellschaftlichen Heilserwartungen, die damit verknüpft waren.
Im Fall Kimmich kam noch mehr hinzu. Da war zunächst eine irritierende Einigkeit von Politik und Medien. Viele Journalisten berichteten im Stile amtlicher Verlautbarungen über das, was Bundeskanzler und Ministerpräsidenten der Länder entschieden. Kritik an den Massnahmen wurde selten geübt, obwohl darunter zeitweise so absurde Dinge fielen wie eine Maskenpflicht an der frischen Luft in der Frankfurter Innenstadt.
Anfangs ging es Regierung und Ministerpräsidenten darum, den Zusammenbruch des Gesundheitswesens zu verhindern. Harte Massnahmen waren unausweichlich. Später allerdings scheuten viele Politiker notwendige Güterabwägungen und bürdeten sie einseitig den Bürgern auf. Sie sollten der Regierung durch ihre Impfung einen bequemen Ausweg aus der Pandemie schaffen. Die Überforderung des Gesundheitswesens schien zeitweise in den Hintergrund zu rücken. Manche Politiker erweckten vielmehr den Anschein, dass sie jeden potenziell lebensgefährlichen Corona-Verlauf verhindern wollten. Selbst dann blieb Kritik oft aus.
Zuletzt zeigte der Fall Kimmich die problematische Tendenz des Journalismus, Geschichten wann immer möglich an einzelnen Personen aufzuhängen. Ein Fussballspieler musste für alle Ungeimpften herhalten. Auf ihn richteten sich das Unverständnis und auch der Hass der geimpften Mehrheit.
Bis heute sind die Massnahmen in den Jahren 2020 bis 2022 nicht aufgearbeitet. Dabei gibt es viele offene Fragen: Ab wann hätte man auf Lockdowns verzichten können? Wann war klar, dass die Impfung nicht vor Ansteckung schützt?
Zu Beginn der Pandemie sagte Gesundheitsminister Jens Spahn von den Christlichdemokraten, man werde «einander viel verzeihen müssen». Er hatte recht. Man kann allerdings erst dann einen Fehler verzeihen, wenn man weiss, wer ihn gemacht hat. Und wenn derjenige ihn dann auch zugibt.
Die, die immer unfehlbar sind und sich heute ganz sicher sind, dass sie zu den größten Helden des Widerstands im Dritten Reich gezählt hätten, sollten sich fragen, ob sie nicht zur Corona-Zeit zu den größten Inquisitoren gehört haben, die sich gegenseitig überboten haben in den Szenarien, wie man „Corona-Leugner“ ausgrenzen, isolieren und bestrafen sollte. Dem „gesunden Volksempfinden“ waren keine Grenzen gesetzt. Und ich? Ich gehörte nicht zu denen (wenigstens das nicht!), aber ich habe von mir teilweise als sinnlos empfundene Regeln befolgt: hatte Angst, wenn ich mal zwei befreundete Ehepaare gleichzeitig zu Gast hatte, habe im Stadtzentrum im Freien (!) Maske getragen und vieles mehr. Ich war einer der vielen, die nicht laut aufbegehrt haben, so eine Art Mitläufer also. Und damals, im Dritten Reich? Hätte ich damals meinen Mund aufgemacht, verbunden mit viel größeren persönlichen Risiken als zur Corona-Zeit? Diese Frage geht mir nicht aus dem Kopf. Corona könnte uns im Nachhinein manches lehren. Aber nur, wenn wir nicht wieder alles beschweigen, sondern es endlich aufarbeiten! Und gegenüber den vielen Kimmichs nicht so tun, als wäre nichts gewesen.
Ich werde es nie vergessen, nie! Selbst geimpft, aber die Art und Weise wie man auf Hexenjagd gegangen ist und welche Worte gefallen sind, die wirken nach. Und welche Konsequenzen durchaus als angemessen angesehen wurden, hat mich an dunkelste Zeiten erinnert. Wie konnte 1933 passieren? Die Antwort habe ich 2020 erhalten. Ein Wahnsinn, absoluter Wahnsinn! Mein Vertrauen in Staaten und Institutionen ist nachhaltig erschüttert und das wird in diesem Leben auch nicht mehr geheilt werden können. Und all den Verunglimpfern sei gesagt, dass ich mir sehr viele gemerkt habe und es tunlichst vermeide mein Geld auch nur ansatzweise bei solchen auszugeben. Bei anderen überprüfe ich gerne einmal, ob ich grenzwertige Aussagen aus dieser Zeit finde, um den Geldbeutel dann doch wieder stecken zu lassen.