Kommentar
Morten Freidel, Berlin

Der Fall Kimmich markiert einen Nervenzusammenbruch der deutschen Öffentlichkeit – trotzdem redet kaum jemand darüber

Der Nationalspieler wollte sich während der Pandemie nicht gegen Corona impfen lassen. Eine Dokumentation zeigt nun, wie massiv er dafür unter Druck gesetzt wurde. Die Corona-Politik muss endlich aufgearbeitet werden.

170 Kommentare 4 min
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Joshua Kimmich im EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn.

Joshua Kimmich im EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn.

Imago

Wer vergessen hat, wie achtlos und verletzend der Umgang mit Einzelnen während der Corona-Pandemie war, der kann es sich nun in beeindruckender Weise in Erinnerung rufen. Man muss dazu nur die Dokumentation über den deutschen Nationalspieler Joshua Kimmich schauen, die an diesem Samstag im ZDF läuft und schon jetzt online abrufbar ist. Sie zeigt einen Menschen, der am öffentlichen Druck beinahe zerbrochen wäre.

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Der Fall datiert mitten in die Corona-Zeit im Herbst 2021. Wochenlang gab es plötzlich kaum ein anderes Thema mehr als Joshua Kimmich, den Mittelfeldstrategen des FC Bayern München. Was hatte der Mann getan? Hatte er das Vakzin gegen das Coronavirus als Gift bezeichnet und über eine Weltverschwörung von Bill Gates phantasiert? Hatte in einer Schmuddelecke des Internets zu Massenprotesten und zum Sturz der deutschen Regierung aufgerufen? Nichts dergleichen.

Joshua Kimmich hatte in diesem Herbst 2021 überhaupt nichts gesagt, zumindest nichts, was für die Öffentlichkeit bestimmt war. Er hatte sich nur gegen eine Corona-Impfung entschieden, ganz privat.

Diese Entscheidung zerrten Medien allerdings an die Öffentlichkeit. Und fortan war die Diskussion nicht mehr zu bremsen. Der Spieler wurde in einer Weise öffentlich an den Pranger gestellt, die autoritäre Züge annahm. Sportreporter verhörten ihn noch auf dem Spielfeld. Die «Tagesschau» brachte eine eigene Meldung, die die Sprecherin mit einer Gravitas verlas, als gehe es um Staatskonsultationen auf höchster Ebene.

Kimmich kämpft mit den Tränen

Das Magazin Extra 3 bestritt, dass Kimmichs Entscheidung überhaupt eine private Angelegenheit sei. Wenn es ums Geldverdienen gehe, sei er doch auch nicht gerade zimperlich mit seiner Gesundheit, sagte der Moderator, und zählte genüsslich Kimmichs Sportverletzungen der vergangenen Jahre auf. Höhepunkt der Sendung war ein Foto, das den Spieler am Bett krebskranker Kinder zeigte. Kimmich, das war die Botschaft, inszeniere sich als Wohltäter und Lebensretter. Doch in Wahrheit gefährde er das Leben anderer.

Wenn Kimmich heute vor der Kamera darüber spricht, kämpft er mit den Tränen. Die Szene zeigt, wie tief die Verletzungen bei ihm noch immer sitzen. Sie zeigt exemplarisch, dass der Vertrauensverlust vieler Bürger in Staat und Gesellschaft nach wie vor nicht vollständig überwunden ist. Und damit auch, woran es bis heute mangelt: an einer gründlichen Aufarbeitung der Pandemiepolitik.

Der Fall Kimmich markiert einen Nervenzusammenbruch der deutschen Öffentlichkeit. Alles, was in der Corona-Politik schiefging, bündelte sich hier. Da war zunächst eine Öffentlichkeit, die sich in Sachen Impfung in einen kollektivistischen Rausch steigerte, statt die Autonomie des Einzelnen zu achten, gerade wenn es um Fragen der persönlichen Gesundheit ging.

Da man annahm, dass das Vakzin nicht nur vor schweren Krankheitsverläufen schützte, sondern auch vor einer Ansteckung, galt jeder Ungeimpfte mindestens als unsolidarisch. Bürger und Journalisten betrachteten die Impfung daher nicht als reine Privatentscheidung. Mit der Impfquote war die Sehnsucht nach einem Ende der Massnahmen verknüpft. Dabei gab es schon damals ernste Zweifel an dieser These.

Irritierende Einigkeit von Politik und Medien

Das Robert-Koch-Institut hatte schon im November 2020 intern festgehalten, dass eine sterile Immunität nicht belegt sei. «An die (noch) nicht erfolgte Impfung darf keine Benachteiligung geknüpft sein», schrieb das Institut damals. Und im Sommer 2021, kurz bevor Kimmich in die Öffentlichkeit gezerrt wurde, berichteten Medien vermehrt über Personen, die sich trotz Impfung ansteckten. All das sprach selbstverständlich nicht gegen eine Impfung, im Gegenteil. Wohl aber sprach es schon damals gegen die gesellschaftlichen Heilserwartungen, die damit verknüpft waren.

Im Fall Kimmich kam noch mehr hinzu. Da war zunächst eine irritierende Einigkeit von Politik und Medien. Viele Journalisten berichteten im Stile amtlicher Verlautbarungen über das, was Bundeskanzler und Ministerpräsidenten der Länder entschieden. Kritik an den Massnahmen wurde selten geübt, obwohl darunter zeitweise so absurde Dinge fielen wie eine Maskenpflicht an der frischen Luft in der Frankfurter Innenstadt.

Anfangs ging es Regierung und Ministerpräsidenten darum, den Zusammenbruch des Gesundheitswesens zu verhindern. Harte Massnahmen waren unausweichlich. Später allerdings scheuten viele Politiker notwendige Güterabwägungen und bürdeten sie einseitig den Bürgern auf. Sie sollten der Regierung durch ihre Impfung einen bequemen Ausweg aus der Pandemie schaffen. Die Überforderung des Gesundheitswesens schien zeitweise in den Hintergrund zu rücken. Manche Politiker erweckten vielmehr den Anschein, dass sie jeden potenziell lebensgefährlichen Corona-Verlauf verhindern wollten. Selbst dann blieb Kritik oft aus.

Zuletzt zeigte der Fall Kimmich die problematische Tendenz des Journalismus, Geschichten wann immer möglich an einzelnen Personen aufzuhängen. Ein Fussballspieler musste für alle Ungeimpften herhalten. Auf ihn richteten sich das Unverständnis und auch der Hass der geimpften Mehrheit.

Bis heute sind die Massnahmen in den Jahren 2020 bis 2022 nicht aufgearbeitet. Dabei gibt es viele offene Fragen: Ab wann hätte man auf Lockdowns verzichten können? Wann war klar, dass die Impfung nicht vor Ansteckung schützt?

Zu Beginn der Pandemie sagte Gesundheitsminister Jens Spahn von den Christlichdemokraten, man werde «einander viel verzeihen müssen». Er hatte recht. Man kann allerdings erst dann einen Fehler verzeihen, wenn man weiss, wer ihn gemacht hat. Und wenn derjenige ihn dann auch zugibt.

170 Kommentare
Hans-Jürgen Bletz

Drosten hat von Beginn an die Labor-Theorie bekämpft. Drosten war an dieser Forschung übrigens beteiligt...

Michael Stoklossa

GVD Was haben Corona u Waldsterben in DE gemeinsam. Nett umschrieben, es gibt/gab gegensätzliche Meinungen, andere würden das als Lügen bezeichnen Man liest viel u da gibt es heut über das Waldsterben einen richtig guten Artikel, ohne jeden Schmuss FaktenFakten Fakten. Und ups man schreibt auch was/viel zum Klima. Das dürfte den Apokalyptischen Klimareitern garnicht gefallen was da zu lesen ist. Nichts ist Unmöglich-Toyota. Und wer andere als Schwurbler bezeichnet, wieviel haben da Zugang zur Medizin, Medi-Freunde wo die eigene Frau im Beruf damit beschäftigt ist u man selbst geschädigter ist . Wenn Dummheit Pseudoschmerzen verursacht, wieder eine Zipperlein mehr Also, eine neue schöne Woche